Nicht allzuweit von Königsberg liegt die Stadt Labiau, dort stand vorzeiten hart am Wasser eine große Eiche, die war dem heiligen Jodokus geweiht, das war ein Schirmvogt der Gewässer. Und die Eiche hatte eine Höhlung, dahinein warfen die Schiffer, die auf der Deine fuhren, im Vorbeifahren einen Opferpfennig, und wer das tat, den sicherte und schirmte der Heilige vor Stürmen, und die Schiffer opferten gern ihren Pfennig, denn es war gar ein wunderbarliches Gefühl ihnen vererbt aus Urväterzeiten her, dieses altheidnische Verehren geheiligter Eichen. Daließ eines Tages ein Bösewicht sich gelüsten, seine gierige Hand nach dem Schatze auszustrecken, und raubte alles, was er fand, nahe an vierzig Mark. Von Stund an verdorrte die Eiche, aber wie die Eiche verdorrte, verdorrte auch des Räubers Hand. Die Schiffer aber wissen noch immer die Stelle, wo die Eiche stand, und die noch fromm sind unter ihnen, werfen an jener Stelle immer noch ihren Opferpfennig in den Fluß, obschon seit langen Zeiten auch des heiligen Jodokus in jener Gegend kaum noch jemand eingedenk ist. Dieser Wasserheilige ward abgebildet mit dem Stabe in die Erde stoßend, aus welcher eine Quelle entspringt.
Ludwig Bechstein, Deutsches Sagenbuch, Leipzig 1853